WIE ALLES BEGANN…
„Auf die Straße Leute, wehrt euch“, schrieb Lutz Bachmann im Juni 2015 und mobilisierte so Hunderte, sich vor dem Hotel Leonardo im sächsischen Freital zu versammeln. Ein leerstehendes Hotel am Rande einer beschaulichen Wohnsiedlung, das kurzfristig zu einer Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete umfunktioniert worden war, wurde über Nacht zum Synonym für den Willen des selbsternannten Volkes: „Ausländer raus“, „Weg mit dem Dreck“ und „Wir wollen euch hängen sehen“. Clausnitz, Heidenau, Bautzen und unzählige andere folgten.
Wir verlegten unsere Probe und antworteten mit Blasmusik und Konfetti.
An diesem Abend vor dem Hotel Leonardo, der von Verzweiflung, Wut, Trauer aber auch unbändiger Freude über die gemeinsame Begegnung bei unserem Stegreifkonzert geprägt war, wurde uns als Banda Comunale bewusst, dass wir als gewachsene Band durchaus über mehr Möglichkeiten verfügen, diesen heftigen Diskurs der Annäherung und Anpassung zu begleiten und aktiv mitzugestalten. Unsere gesellschaftliche Teilhabe, politisch wie kulturell, hatte sich nicht darin erschöpft, auf No Pegida-Demonstrationen zu spielen, war uns aber als Mittel im Kontext der erstarkenden rechten Bewegungen zu wenig. Wir wollten das Rad wieder selbst drehen, die negativen und deprimierenden Erfahrungen der kläglichen Protestkultur in etwas Positives wenden und zwar mit dem, was wir können, also vor allem mit unserer Musik. Geflüchteten Musikern eine erste Anlaufstelle, ein Projekt, ein gemeinsames Ziel eröffnen; eine transkulturelle Band, die nicht nur Lieder und Melodien der ganzen Welt in ihrem Repertoire aufgreift, sondern ebenjene Musiker aus diesen Ländern aufnimmt und ihnen hilft, hier Fuß zu fassen.
Wir haben uns Unterstützer und Partner gesucht, Förderanträge geschrieben, Flyer verteilt, Poster geklebt und sind mit spontanen Konzerten durch die hastig errichteten Camps und Notunterkünfte in Dresden und dem Umland gezogen.
Schon im Oktober haben wir uns mit den ersten „Newcomern“ im Probenraum getroffen. Gleich am Anfang lernten wir Qutaiba kennen, einen palästinensisch-stämmigen Informatikstudenten aus Syrien, der in Yarmuk-Camp (einem Stadtteil von Damaskus, der seit Jahrzehnten vorrangig von Flüchtlingen aus Palästina bewohnt wird und sehr unter den Folgen des Bürgerkriegs in Syrien zu leiden hatte) Snare-Drum in einer Marchingband gespielt hat. Thabet, der virtuos die Oud spielt, ebenfalls aus Syrien stammt und hoffte, hier in Deutschland endlich sein Medizinstudium fortsetzen zu können. Muhammad, ein weiterer Oudist und Mediziner aus Syrien, der bereits seit drei Jahren in Dresden lebt und arbeitet. Und Ahmad, dem unglaublichen Riq-Trommler, dem wir in der Erstaufnahmeeinrichtung auf der Nöthnitzer Straße begegnet waren.
Der erste gemeinsame Song, den wir schon seit Jahren im Programm hatten, und den die Jungs aus Syrien auf Anhieb mitspielen konnten, hat die erste, und danach noch viele weitere Brücken geschlagen: „Ya Rayah“ (Oh Auswanderer) – ein algerischer Superhit und in der gesamten arabischen Welt bekannt.
In den nächsten Wochen kamen immer mehr Musiker dazu: Akram, Cellist des Jugendsinfonieorchesters Bagdad, Danial, der in Syrien in einer christlichen Gemeinde Trompete gelernt hatte, Shadi, Friseur und Sänger in einem Grand Hotel in Damaskus, Hamid, der wegen seiner Vorliebe für Heavy Metal-Gitarre aus dem Iran fliehen musste, Masoud, ein kurdischer Perkussionist und Rapper, Ezé, Singer-Songwriter und Drummer aus Burkina Faso, der an der TU-Dresden Germanistik studiert, der Geiger Karzan aus dem Kurdengebiet im Irak und Al Hasan, der Kanoun-Surfer und Nervendoktor aus Damaskus.
Woche für Woche haben wir miteinander geprobt, uns gegenseitig neue und alte Lieblingslieder beigebracht, ein Programm entwickelt. Und von Anfang an haben wir vor Publikum gespielt, vor Alteingesessenen und natürlich auch denen, die neu dazu gekommen waren. Immer wieder in Dresden und Sachsen, wo uns das gesellschaftliche Klima und die Vermittlung zwischen den Kulturen besonders am Herzen liegen: Im Montagscafé und in der Reihe „Musik zwischen den Welten“ am Staatsschauspiel Dresden, vor über 2000 Menschen beim Begegnungsfest „Meet new friends“ im Albertinum der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, auf der Demonstration von „Herz statt Hetze“ im Rahmen des Protests gegen Pegidas Forderung nach einer „Festung Europa“, in der Erstaufnahmeeinrichtung in Meißen für Geflüchtete, für DRK-MitarbeiterInnen und ehrenamtliche HelferInnen, für die Flüchtlingshilfe in Plauen, mit Annamateur beim „Büro für Ordnung und Chaos“ in der Dresdner Scheune.
Im Frühjahr 2016 war dann klar, die Banda Internationale ist Sachsens Exportschlager in punkto gelebte Integration im Freistaat. Wir wurden bundesweit eingeladen und angefragt. Vom Oberammergauer „Heimatsound Festival“ zur „Noch nicht komplett im Arsch – Zusammenhalten gegen den Rechtsruck“-Tour der Band „Feine Sahne Fischfilet“ oder zur Eröffnung der Initiative „Kultur öffnet Welten“ in Berlin, wo unser Projekt mit dem von Kulturstaatsministerin Monika Grütters ausgelobten Sonderpreis für Projekte zur kulturellen Teilhabe geflüchteter Menschen ausgezeichnet wurde, waren wir dabei.
Insgesamt haben wir gemeinsam mittlerweile an die 400 Konzerte und Demonstrationen gespielt. Dabei haben sich tiefe Freundschaften entwickelt. Wir haben mit unseren neuen Bandkollegen alle Stationen ihrer Ankunft in der deutschen Gesellschaft erfahren. Arztbesuche, Deutschkurse, Unterbringung, und immer wieder Anträge, Anträge, Anträge. Dann endlich die Anerkennung ihrer Asylverfahren, Familienzusammenführungen, erste eigene Wohnungen, noch viel mehr Papierkram und sogar Bewerbungen und Studienplätze. Wir haben Dramen miteinander durchlebt, als es so aussah, als sollte ein Bandmitglied abgeschoben werden, Erfolge gefeiert, als wir erreicht haben, dass Brüder wieder zusammen in einer Stadt leben können.
Eines wissen wir nach fünf verrückten, turbulenten und auch anstrengenden Jahren ganz sicher: Wir sind und wollen kein Paradeprojekt für gelungene Integration und soziokulturelle Teilhabe mehr sein, denn wir sind schon einen ganzen Schritt weiter: Wir sind eine tighte, laute Band mit spannenden Ideen und konkreten Visionen.
Ya Rayah, der Song über den Auswanderer, zu dem auf so vielen Konzerten in diesem Jahr Geflüchtete und Sachsen ausgelassen miteinander getanzt haben, beginnt frei übersetzt etwa so: „Oh Auswanderer, wo willst du hin? Am Ende musst du doch bloß wieder heim. So viele Blauäugige haben diese Entscheidung schon vor mir und dir bereut“. – Die meisten unserer neuen Musiker wollten damals nicht „irgendwo hin“, sondern mussten vor allem erst mal „irgendwo weg“.
Dass sie es jetzt nach vielen beschwerlichen Monaten trotzdem geschafft haben „irgendwo anzukommen“, ist eigentlich das Schönste, was wir nach diesen Jahren vorzuweisen haben!